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Franzl dealt Gras.

Ama Gangta! Zwei 300 Gramm Beutel feinstes Holland Weed lagen auf dem gefliessten Couchtisch. Wilhelm Busch und ich saßen auf seiner schwarzen Ledercouch, unten in seiner Gaunerhöhle. Im Keller des Elternhauses, der eigentlich mal einen Pool beherbergen sollte. Das Kraut brachte uns der Türke, ein Freund, unser steter Versorger und nun unser Partner in Crime. Wir wollten eine Sprosse auf der Leiter dieses Businesses nach oben steigen. Statt 20, oder auch mal 50 Gramm für den Eigenbedarf, kauften wir also mehr als ein halbes Kilo Dope und fühlten uns dabei wie Toni Montana und Pablo Escobar. Aufs Gramm bezahlten wir 4 Mark 30. Heute unfassbar, damals ein okayer Tarif. Wir waren jetzt Dealer – keine billigen Kleinkiffer mehr. Wir hatte mehr als wir rauchen konnten, fingen an Purjoints zu basteln und uns wie richtige Gangster zu fühlen. Scheisse, wir waren gerade einmal zwanzig Jahre alt und wussten nicht einmal wie man richtig fickt. Und beim Anblick einer schwarzen Glock, wie sie die richtigen Gangster in Compton bei sich trugen, hätten wir uns in die Hosen geschissen.

Es dauerte nicht lange bis wir im Geschäft waren. Unsere Nokia-Handys vibrierten ununterbrochen und plötzlich war das ein richtiger Job. Yo Franzl, ist der Günter bei dir? Ich schulde ihm noch einen Zwacki. – Klar, ich bin um 3 am toom-Parkplatz. Ich weiß heute nicht mehr, ob diese Code-Sprache Teil unserer Jugendkultur war, oder ob wir dachten es gehöre zum Business. Wir waren nicht unvorsichtig, aber dennoch sehr amateurhaft. Es war aufregend. Wir waren reich, hatten ständig mehrere 100 Mark in der Tasche und kauften uns unnötiges Zeug ohne Ende: DVDs, Air-Max 90 und anderen „coolen“ Kram des frühen Jahrtausends. Essen gehen ist mit Anfang Zwanzig echt aufregend, ebenso Volltanken oder bei der Party ein Zehnliter-Fass Kölsch für die Jungs zu spendieren. Es war das Leben der Rockstars, nur mussten zwischendurch noch in die Schule. Naja, zumindest zu den Leistungskursen.

Das Gras war wirklich gut damals. Sauber erzeugt und gut geerntet kam das Dope über Umwege aus Holland, versehen mit Namen für die Ewigkeit. WW, mit Edding auf den Beutel geschrieben, stand für White Widow. Oder PH für Purple Haze, wobei man diese Sorte auch so direkt erkennen konnte. Wenn mal SS auf einem Beutel stand sind wir vor Freude ausgerastet. Es war Super Skunk im Haus. Es waren goldene Zeiten für zwei Jungs, die ihren Platz im Leben noch nicht gefunden hatten. Wir wollten high sein und wir wollten das High Life. Von Sucht waren wir beide noch weit entfernt. Wir kifften aus Spaß und um uns abzugrenzen. Wir wollten das Leben leben, dass wir aus Hollywood und vom 90er HipHop kannten.

Das Ende der Geschichte ist so kleinbürgerlich, wie wir selbst es waren. Die ganze Eskapade dauerte nicht länger als ein Jahr. In meinem Fall war Mama der Grund. Sie fand meine Ration im innerern meines PCs. Nach einer Weile machte ich mir nicht einmal mehr die Mühe den Gehäusedeckel richtig anzubringen, sondern lehnte das Ding nur noch dagegen. Sie konfrontierte mich mit dem Beutel in der Hand, als ich nach Hause kam. Es waren Drogen. Welche, davon hatte sie keine Ahnung. Wahrscheinlich dachte sie, es wird gespritzt. Die Geschichte mit Christiane und dem Bahnhof spukte noch durch ihren Kopf. Ich erklärte ihr, dass es Gras war und fragte, ob sie in den 70ern nie damit in Berührung gekommen wäre. Ich dachte in der Zeit hätte alle dauernd gekifft. Mama war nicht an der Uni, protestierte nicht, praktizierte auch keine freie Liebe und was sie auf keinen wollte war einen Sohn, der Drogen verkauft. Ich musste ihr versprechen, dass ich damit aufhöre, zumindest mit dem Verkauf. Ich war kein Gangster. Und ich hielt mein Versprechen. Als Gauner war ich jämmerlich, als Sohn bin ich ne Eins. Mein Partner und Freund machte noch ein bisschen weiter und ließ es dann auch irgendwann sein. Einfach zu viel Stress.

Übrig sind Erinnerungen: Ein ganzer Tisch voller Gras. Feinwagen, staubig von Pollen und völlig verklebt vom ganzen Harz. Wiegen und Verpacken. Telefonate,Treffen auf Parkplätzen und der obligatorische geteilte Joint, mit dem der Deal besiegelt wurde. Bargeld in Rollen, zusammengehalten von bunten Gummibändern. Aufregung und Adrenalin. Das Gefühl von Übermut. 

Beim Kiffen blieben wir jedoch beide sehr lange. Als ich ihn das letzte Mal sah, fragte er mich: Darfst Du noch kiffen? Ich muss bald aufhören – die Frau will Kinder. Ich war damals auch in einer Beziehung und ich durfte noch, unter Vorbehalt. Aber das hatte sich dann auch irgendwann erledigt. Die Gangsterkarriere war rasch vorbei, aber meine Kiffer-Karriere hatte gerade erst begonnen. Bis zum Studium blieb es bei ein paar Tüten die Woche. Erst mit der ersten eigenen Wohnung geriet ich den Strudel, der mich auf lange Sicht dazu brachte diesen Blog hier zu starten. Ich war wieder Käufer. Dealer folgte auf Dealer, das Gras wurde immer schlechter und die Beutel, die ich so monatlich durchbrachte, wurden immer größer. Zuletzt waren es so in etwa 250 Euro pro Monat, die ich in Tüten verdrehte. Es war eine monatliche Ausgabe, wie die Miete oder die Prämie für meine Auto-Versicherung. Gras wurde zu einem Grundnahrungsmittel. Es ging einfach nicht mehr ohne. Heute weiß ich: es geht ganz prima ohne den ständigen Rausch. Warum zur Hölle habe ich für diese Erkenntnis bloß so lange gebraucht?

Egal, es hat ebenso so lange gedauert, wie es gedauert hat. Ich bin kein Missionar. Ich möchte niemanden von meinen Idealen überzeugen, denn ich möchte auch nicht überzeugt werden. Ich habe mir schon immer mein eigenes Urteil gebildet. Mich konnte niemand davon überzeugen, dass mein Konsum nicht gesund ist. Dennoch möchte ich Jedem, der sich schon einmal geärgert hat, dass sein Dealer nicht ans Telefon geht, raten sich wirklich intensiv mit seinem Konsummuster auseinanderzusetzen. Sucht ist ein schleichender Prozess – man realisiert die Auswirkungen erst wirklich, wenn man sich rausgekämpft hat.

Gras kaufen: Legal, Illegal, Scheißegal.

Gerade wird wieder heftig diskutiert: Soll die Abgabe von Cannabis legalisiert werden? Ich war immer dafür. Heute bin ich unschlüssig, aber noch immer eher positiv dazu eingestellt. Ich bin über die Jahre auch mit dem Gesetz in Konflikt geraten, aber der Besitz wird in Deutschland ja nur in Einzelfällen bestraft. Das beste Argument für die Legalisierung ist wohl der unnötige Aufwand für die Justiz und die damit verbunden Kosten für den Staat. Aber egal: Gras gibt es an jeder Ecke. Zu Beginn hat uns Willi versorgt. Der hat es vom Türken in Hunderterpakete gekauft. Als ich in eine andere Statdt kam, hat meine Arbeitskollegin mich mitversorgt. Und ich hatte einen Deal mit meinem Nachbarn. Der hat mir jeden Monat ein Gramm in den Briefkasten geworfen, dafür dass er über mein W-LAN Fifa zocken durfte. In Bonn gibt es die Hofgartenwiese, wo man beim freundlichen Afrikaner einen Zehner auf die Faust kaufen kann. Die Versorgung in Deutschland ist wohl ziemlich lückenlos. Und jeder Kiffer aus NRW hat wohl schon dn obligatorischen Trip nach Maastricht gemacht. Mein Lieblingsladen war immer das Heaven 69. Freundliche Girls und weltklasse Milkshakes.

Meine letzte Connection war allerdings einmalig. Ein kleines Türkisches Coffee Café direkt um die Ecke. Täglich von elf bis elf geöffnet. Die Preise waren eher übel, aber es war eben praktisch ohne Ende. Kein Telefonieren, kein Warten, kein Stress. Einfach rein, an der Theke, bestellen und ab nach Hause. Supereasy. Die ganze Bude hatte nur diesen einen Zweck. Es gab so eine Art Code: man musste nach einer bestimmten Person fragen und schon war alles geritzt. Natürlich haben das auch die Cops irgendwann gerafft, aber dann wechselte einfach das Personal und es ging wieder von vorne los. Das Café gibt es noch, ich gehe nur nicht mehr hin.

Gesetzliche Regelungen ändern einfach gar nichts. Die NPD verbieten zu wollen, führt schließlich auch zu nichts. Genauso wie es die Rechten immer geben wird, wird es auch immer Kiffer, Kokser und andere „Rangruppen“ geben. Ich denke die Legalisierung wird kommen. Die Amerikaner probieren es ja grad. Ich bin mal gespannt, welche Ausmaße das dort annimmt. Aus Holland hört man ja eigentlich nur Gutes dazu.

Mir war das immer wurscht. Ist eine Connection verebbt, fand sich irgendwo die Nächste. In meinem Telefon habe ich noch immer ein paar Nummern, die ich stets nur für den einen Zweck angerufen haben. Die Namen dazu lauten: J, Flötz, der Dicke u.s.w. Aber um das Thema Sucht auch an dieser Stelle aufzugreifen: es ist ganz einfach herauszufinden, ob man ein Problem mit dem Kiffen hat. Du hast nur noch ein, zwei Gramm zu Hause und fängst dann bereits an die ersten SMS zu schreiben: „Yo J, wie sieht es aus? Ist der Günter bei Dir? Ich muss ihn sehen.“ Oder: „Hey Dicker, was geht? Hast Du Mary Jane getroffen. Ich brauch nen Termin.“ Kein Gras zu Hause zu haben war nicht cool. Das hat mich gestresst. Und das letzte Gramm hab ich stets am Stück weggeballert. Anstatt ein bisschen was für den Fall der Ebbe aufzubewaren, habe ich dann noch mehr geraucht, als ich es eh schon tat. Und die Zeit zwischen Leerstand und Nachschub war stets unentspannt. In diesen Phasen habe ich oft erkannt: Mann Franzl, Du hast ein echtes Problem. Aber dieses Problem konnte ich auch später angehen. Diese Situation habe ich bestimmt hundertmal erlebt. Trotzdem hab ich immer Nachschub geholt. Und weiter gebufft. Und immer weiter gebufft. Die Anzeichen für einen problematischen Konsum sind so eindeutig. Und trotzdem ist der Ausstieg unheimlich schwer. Erst die wahre Erkenntnis führt zum Erfolg.

Also: Bist Du nervös, wenn der Stoff zu Ende geht? 

Dann rede mit Jemandem. Such Unterstützung. Weihe enge Bekannte ein. Stell dich Deiner Sucht. Sucht ist ein Problem, aber kein Weltuntergang. Ich fühle mich jetzt, nach zehn Wochen, schon viel freier. Ich bin immernoch moody und schlafe komisch, aber es wird. Es wird besser.

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